"70 Jahre Frieden in Europa"

Rede von Reinhold Sendker MdB zur Gedenkveranstaltung der CDU Ennigerloh

Nahmen an der Gedenkveranstaltung
Nahmen an der Gedenkveranstaltung "70 Jahre Frieden" der CDU-Ennigerloh teil: (v.l.) Guido Gutsche, Reinhold Sendker und Astrid Birkhahn.
Vor 70 Jahren endete mit der deutschen Kapitulation der 2. Weltkrieg. Weite Teile Europas lagen in Trümmern und boten ein Bild schwerer Verwüstung. Ungefähr 60 Millionen Tote, darüber hinaus Millionen Menschen vertrieben und / oder heimatlos. Wie sich die Bilder ähneln, ziehen die ersten Historiker bereits Parallelen zur Gegenwart. Von der Stunde „Null“ an, also ab Mai 1945, erwuchs sodann aus der Angst voreinander und dem starken Wunsch nach dem "Nie wieder" mehr und mehr die Europäische Union. Im Gedenken des Deutschen Bundestages hatte der Historiker Heinrich August Winkler unlängst festgestellt, es gebe in der Geschichte keine tiefere Zäsur als durch den 8. Mai 1945.

Und unser Gedenken an 70 Jahre Frieden in Europa kommt weiß Gott nicht ungelegen. Es sollte uns mahnen und erinnern: Die Vorstellung, heute nicht in Frieden und Freiheit leben zu können, stattdessen mitten in Europa Krieg erleiden zu müssen, ein solches Szenario ist für weite Teile der deutschen und europäischen Bevölkerung kaum noch vorstellbar. Der Krieg aber war in der Vergangenheit in Europa die Regel, der Friede hingegen die Ausnahme. Man denke nur daran zurück, dass sich Deutsche und Franzosen innerhalb eines Zeitraumes von ebenfalls 70 Jahren dreimal bekriegt haben. 
 
Von ganz wenigen kriegerischen Ereignissen einmal abgesehen, so auf dem Balkan und heute in der Ostukraine, schweigen im Kern - Europa seit 70 Jahren die Waffen. Der Zivilisationsbruch der Nationalsozialisten und die Katastrophe des zweiten Weltkriegs lehrten die Europäer, fortan in Frieden miteinander leben zu wollen. Europa - früher der Kontinent der Kriege, heute Inbegriff des Friedens in der Welt!
 
Symptomatisch für diese Entwicklung steht die Aussöhnung von Deutschen und Franzosen,
  • der Freundschaftsvertrag ehemaliger Erzfeinde, von Konrad Adenauer und Charles De Gaulle unterschrieben,
  • die Handreichung von Helmut Kohl und Francois Mitterand über den Gräbern Bitburgs
  • und neuerlich die Friedensdiplomatie der deutschen Bundeskanzlerin und des französischen Staatspräsidenten. Schauen wir aber ganz besonders auf die vielen Städtepartnerschaften und auf das regelmäßige Treffen deutscher und französischer Mitbürgerinnen und Mitbürger in den Kommunen und Regionen.
Darunter auch die gelebte Freundschaft von Ennigerlohern und ihren Freunden und Bekannten aus Lessay. 
 
Lieber Peter Kirchhoff, ich erinnere mich an unsere erste Aktion zur Aufnahme partnerschaftlicher Beziehungen, unsere allererste Fahrt nach Lessay, diese unvergessenen Septembertage im Jahre 1985, und dann die großartige  Abschiedszeremonie der Lessayer für unsere kleine Delegation. Im Blickpunkt dabei die Abschiedsfanfare eines französischen Kriegsveteranen. Sie ging nicht nur mir tief unter die Haut und besiegelte unsere Städtepartnerschaft, und ich füge dem hinzu: durch nichts hätte sie besser besiegelt werden können. Diese und viele ähnliche Ereignisse stehen für eine ganz großartige Entwicklung in den vergangenen 70 Jahren im Miteinander von Deutschen und Franzosen.
 
Wären da nicht Vergessen, Geringschätzung und Gleichgültigkeit. Das Vergessen kriegerischer Grausamkeit und des Holocaust, die Geringschätzung des schon Erreichten in der europäischen Einigungsbewegung und schließlich die Gleichgültigkeit gegenüber den Bestrebungen nun auch die weitgehende politische Union in Europa herzustellen.Es kann Menschen doch nicht egal sein, wenn sie nirgendwo in der Welt mehr Rechtsstaatlichkeit, Meinungs- und Pressefreiheit vorfinden als bei uns in Europa. In der Europäischen Union hat heute nicht die Macht das Recht, sondern das Recht die Macht. Europa generiert sich damit als Rechtsgemeinschaft und immer neu als Friedenszone in der Welt. Daran festzuhalten, verlangt vor allem Wachsamkeit, verlangt ein stetes und mutiges Engagement für die Europäische Union, manches Mal aber auch Zivilcourage.
 
Im kritischen Dialog der EU-Staaten ist sicher nicht alles tolerierbar, weder in der Eurozone noch in der europäischen Neigung zur Überbürokratisierung, die die deutsche Bürokratie mit der soundsovielten EU – Richtlinie für Gurken und Tomaten noch zu toppen scheint. Fehlentwicklungen, soweit sie im Rahmen bleiben und korrigierbar sind, bezeichne ich als „noch tolerabel“, die Parolen derer aber, die Europa wieder ganz und gar auf die Nationalstaatsebene zurück führen wollen, nenne ich schlicht und einfach „unerträglich“. Back to the Roots – nein danke! Das wäre auch der völlig falsche Rückschluss aus 70 Jahre Frieden in Mitteleuropa. 
 
Verehrte Anwesende, Europa hingegen verlangt ein klares Bekenntnis: die Europäische Union ist und bleibt unsere Zukunft! Und an diesem Leitsatz sollten wir konsequent festhalten!
 
Alfred Nobel hat es auf den Punkt gebracht: „Die Befreiung Europas ist die Voraussetzung für den Frieden in der Welt!“ Diejenigen, die in seinem Namen auftreten und die Europäische Union mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet haben, sind deswegen zunächst belächelt worden. Eine solche Häme und Kritik aber war völlig deplaziert, diese so hohe Auszeichnung für die Europäische Friedensentwicklung – sage ich - war mutig und absolut richtig! Vor allem darf die europäische Friedensbotschaft nicht an den Grenzen Europas enden.
 
Richtig ist aber auch, dass unsere Freiheit, unser Wohlstand und unsere Sicherheit wesentlich von Entwicklungen außerhalb Europas mitbestimmt werden. Vom Krieg in Syrien bis hin zum Ukraine – Konflikt, der sich zu einem „frozen conflict“, zu einem eingefrorenen Konflikt, zu entwickeln droht. In diesem Zusammenhang nenne ich die schon angesprochene Friedensdiplomatie mutig, richtig und ohne wirkliche Alternative, ich sehe jedenfalls keine.
 
Die weitergehende Frage, warum wir kriegerische Handlungen in der Ostukraine beklagen, hat eindeutig mit der Veränderung von Grenzen zu tun. Der Friede in Europa währt auch deshalb schon so lange, weil die Europäer die Grenzziehungen des zweiten Weltkrieges weithin und gegenseitig respektiert haben, sagt Angela Merkel. Die Annexion der Krim hingegen setze eine neuerliche Zäsur, folgert unsere Bundeskanzlerin weiter.
Den erkennbaren Begehren Russlands aber
  1. nach Kontrolle der Ukraine,
  2. nach Delegitimierung der NATO und
  3. nach Spaltung Europas … kann die Europäische Union nur mit friedenstiftender Diplomatie begegnen.
Und genau dazu ist sie weiter aufgerufen.
 
Weiter und dringend aufgerufen, auch das eklatante europäische Versagen in der Flüchtlingsproblematik glaubwürdiger noch zu beenden als es in dieser Woche gelungen ist. Was wir hier bislang erleben mussten, das schmerzt den aufrechten Europäer. Diese mangelnde europäische Solidarität muss schon als Rückfall in nationale Egoismen interpretiert werden. Gestern Morgen noch hatte ich die Gelegenheit zu einem Gespräch mit dem litauischen Botschafter in Berlin. Er distanzierte sich von dem, was Populisten im Baltikum und im übrigen Europa verbreiten: Die Flüchtlingsaufnahme  - das sei doch das Problem der Deutschen, die hätten sie ja willkommen geheißen…
 
Nun in Deutschland wurde die das Menschenrecht verachtende Mauer nach dem 9. November 1989 niedergerissen. Das hat Mittel- und Osteuropa wieder zusammengeführt. Insofern kann es doch nicht europäische Konzeption sein, wenn jeder in Europa seinen Zaun wieder hochzieht. Nein, das war bisher alles andere als ein Ruhmesblatt für Europa nach 70 Jahren Friedensentwicklung! „Die Insel der Glückseligen“, als die Europa in der übrigen Welt angesehen wird, hat unübersehbare Schwächen. Und sie ist gewaltigen Gefahren ausgesetzt.
 
Angefangen von der Destabilisierung der arabischen Staaten, auch mittels der „Gotteskrieger“ und ihres todbringenden Dschihads, bis hin zur Cyberkriminalität, u.a. russischen Hackerattacken auf die IT des Deutschen Bundestages und die eines französischen Fernsehsenders, so jedenfalls die sehr begründete Vermutung des Chefs des deutschen Verfassungsschutzes. Schlussendlich ist da noch das apokalyptische Szenario, es könne ausgehend vom Ukraine – Konflikt eines Tages doch wieder Krieg in Mitteleuropa geben.
 
Bei aller Betrachtung der Schwächen der Europäischen Union, aktueller und zukünftiger Fehlentwicklungen und Gefahren – ich ziehe trotz dem in meiner Momentaufnahme ein sehr positives Fazit: Unser heutiges Europa ist zwar weit davon entfernt perfekt und ohne Bedrohung zu sein. Aber, verehrte Gäste, es ist besser als alles, was Europa jemals hatte!
 
Und noch eines muss gesagt werden: Die beiden sogenannten Großmächte, wenn sie denn noch so definiert werden können, die USA und vor allem Russland, haben enorm an Vertrauen verloren. Auch deshalb muss die Europäische Union weltweit eine stärkere Verantwortung übernehmen. Ja, das haben Sie richtig gehört, Europa zukünftig dominanter und immer an der Seite derer, die den Frieden und die Freiheit überall in der Welt authentisch verteidigen. Das wäre mein Wunsch und ist meine Hoffnung.
 
Aber keinesfalls so, wie vor hundert Jahren! Damals war ein Teil Europas mit imperialem Geist unterwegs und hat damit den Ersten Weltkrieg ausgelöst. Heute dagegen ist Europa Gott sei Dank in Vielfalt vereint, vor allem mit der Botschaft des Friedens, der Botschaft der Gerechtigkeit und der Menschenrechte für die Welt! In diesem Sinne sind und bleiben 70 Jahre Frieden für uns in Europa eine hohe Verpflichtung!
 
Mit dieser hoffnungsvollen Perspektive danke ich für Geduld und Aufmerksamkeit.

Vielen Dank!

Nach oben